Gut Keudelstein
im DEFA-Spielfilm "Zu jeder Stunde" (1960)

Zu jeder Stunde 1Zu jeder Stunde 2Zu jeder Stunde 3Zu jeder Stunde 4

Einleitung:
Wie kürzlich angestellte Recherchen ergeben haben, existieren Filmaufnahmen vom Gut Keudelstein, die 1959 im Zuge einer DEFA-Film-Produktion entstanden. Unter dem Titel "Zu jeder Stunde" wurde 1960 ein Spielfilm veröffentlicht, der das Leben junger Soldaten an der deutsch-deutschen Grenze auf propagandistische Weise verarbeitet. Im Zentrum der Handlung steht Martin Kraft, der seinen Dienst als Grenzsoldat im Eichsfeld versieht und sich in die Tochter eines Bauern verliebt. Sein Gegenspieler wird der Großbauer Grabow, der die Beziehung widerwillig verfolgt und gleichzeitig seine Flucht nach Westdeutschland vorbereitet.

Bei genauerer Untersuchung des Films fällt auf, dass ein bestimmter Name nicht fiktiv, sondern an real Existierendes angelehnt ist. So arbeitet der Großbauer Grabow mit einem gewissen "Grafen Räudel" zusammen, der sich in Westdeutschland aufhält und enteignet wurde. Sein ehemaliger Gutshof, hier der "Räudelstein", wird noch immer bewirtschaftet und ist in mehreren kurzen Szenen zu sehen. Die Aufnahmen zeigen zweifelsfrei den Gutshof Keudelstein im Jahre 1959. Umso erstaunlicher ist, dass die Aufzeichnungen in Form des Spielfilms noch heute existieren und sicherlich die einzigen Filmaufnahmen des Keudelsteins überhaupt darstellen. Im Folgenden liefern mehrere kurze Texte wichtige Hintergundinformationen über den Inhalt, die Konzeption und die verschiedenen Rezeptionen des Films "Zu jeder Stunde".

Oliver Krebs
(Anmerkung: Herr Udo Wagner, der selbst im Südeichsfeld aufgewachsen ist, geht davon aus, dass nicht der Keudelstein sondern ein anderer Gutshof im Film zu sehen ist, da der Keudelstein durch seine direkte Lage an der Grenze die Filmproduktion erschwert hätte. Diese Vermutung wird durch eine genauere Prüfung des Filmmaterials noch zu verifizieren sein.)

Zu jeder Stunde

Englischer Titel Always On Duty
Sonstiger Titel Ein heißer Sommer; Nationale Volksarmee
Produktionsland Deutsche Demokratische Republik
Filmart Spielfilm (S)
HerstJ/Freigabe von 1959
Premierendatum 29.01.1960
Anlaufdatum 29.01.1960
Produzent DEFA-Studio für Spielfilme
Produktionsnummer 273
Verleih PROGRESS Film-Verleih
Filmformat 35 mm
Länge 2316 m
Farbe s/w
Quellen DEFA-Spielfilme I. Teil 1946-1964, S. 201

Inhaltsangabe Soldat Martin Kraft wird nach einem Lehrgang in ein thüringisches Grenzdorf versetzt. Bei einem Sturm rettet er die verunglückte Bauerntochter Renate und verliebt sich in sie. Deren Vater hat sie aber bereits dem Sohn des Großbauern Grabow versprochen. Um sie von Martin zu trennen, schickt er die Tochter nach Eisenach. Im Dorf bereitet Grabow inzwischen im Auftrag des ehemaligen Gutsherrn einen Sabotageakt und seine Flucht vor. Er gewinnt den bei ihm verschuldeten Gefreiten Zimmer zur Unterstützung. Bei der gemeinsamen Streife versucht Zimmer, auch Martin mit hineinzuziehen. Der weigert sich aber und benachrichtigt die Kompanie. In einem dramatischen Kampf können die Verbrecher, die die LPG-Gebäude bereits in Brand gesteckt haben, gestellt werden.

Arbeitstitel: Ein heißer Sommer; Die 12. Nacht; Grenzschutz

Produktion: DEFA Studio für Spielfilme, Gruppe „Heinrich Greif“, 1959
Drehbuch: Lothar Dutombé. Dramaturgie: Dieter Scharfenberg. Regie: Heinz Thiel. Kamera:
Erwin Anders. Musik: Helmut Nier. Bauten: Ernst-Rudolf Pech. Kostüme: Lydia Fiege.
Schnitt: Wally Gurschke. Produktionsleitung: Siegfried Nürnberger
Darsteller: Reinhold Stövesand (Martin Kraft), Erika Radtke (Renate Wedel), Hans-Peter
Minetti (Oberleutnant Höhne, Kompaniechef), Roman Silberstein (Leutnant Tröger,
Politstellvertreter), Günther Haack (Bruno Zimmer), Hans Finohr (Arthur Wedel), Erich
Franz (Otto Grabow), Otmar Richter (Felix Grabow) u. a.
(Normal, Schwarz/weiß, 2319 m, 85 min; für Kinder unter 14 Jahren nicht zugelassen)
Ersteinsatz: 29. Januar 1960

Inhalt:
Im Dorf Altenrode in Thüringen gehörte bis zur Bodenreform der größte Teil des Bodens dem Grafen, der auch jetzt noch auf dem jenseits der nahen Grenze zu Westdeutschland gelegenen Teil seiner Ländereien sitzt. Hier tritt Martin Kraft seinen Dienst bei der DDR-Grenzpolizei an. Bei einem seiner ersten Postengänge rettet er Renate, ein Mädchen aus dem Dorf, das in eine Schlucht gestürzt ist. Die beiden verlieben sich ineinander, doch Renates Vater ist gegen die Beziehung. Er will, daß sie den Sohn des Großbauern Grabow heiratet. Grabow und sein Sohn stehen heimlich mit dem Grafen in Verbindung und verüben Sabotageakte im Dorf. Mit Hilfe des Gefreiten Zimmer, der Schulden bei ihnen hat, planen die Grabows ihre Flucht. Zimmer glaubt dabei auch auf Hilfe von Martin zählen zu können, der gerade eine Disziplinarstrafe erhalten hat. Grabow steckt Gebäude der LPG in Brand, um den Fluchtversuch zu decken. Aber Martin stellt die Grabows und den Deserteur Zimmer.

Aktenbefunde:
BArch DR 1 (Sekretariat Erich Wendt)
BArch/FA O. 529

Bemerkungen:
Unter den insgesamt 56 Vorschlägen für den Thematischen Plan 1959/60, die die Dramaturgie des DEFA-Spielfilmstudios am 10. Juni 1958 an Staatssekretär Erich Wendt übermittelte (Dokument 1), waren auch vier Stoffe, die als „atheistische Filme“ gekennzeichnet waren bzw. in denen Christen als rückschrittlich dargestellt werden sollten. Darunter war auch ein geplanter Film über Grenzsoldaten, der im Eichsfeld spielen und „sich auch mit dem Wirken reaktionärer katholischer Kräfte auseinandersetzen“ sollte. Dieser Stoff wurde als einziger der vier Vorschläge auch realisiert. Als er aber unter dem Titel „Zu jeder Stunde“ 1959 gedreht wurde, begann sich das kirchenpolitische Klima wieder zu ändern: im fertigen Film treten zwar „Reaktionäre“ auf, sie sind aber weder als katholisch noch sonst als religiös dargestellt.

Dokument 1

"Diskussionsgrundlage für Thematischen Plan 1959/60“ der Dramaturgie des DEFA Studios für Spielfilme. Mit Anschreiben v. 10. Juni 1958. Auszug (Jugendprädikat am 17. Juni 1960 auf "ab 12 Jahre" geändert.).

2
BArch DR 1/7834
[...]
III. Aus dem Kampf um den Sieg des Sozialismus in der DDR
35. Die 12. Nacht (Grenzschutz)
Autor: L. Dutombé
Regisseur:
Dramaturg: Dieter Scharfenberg
Der Autor hat die wegen „Reportage 57“ unterbrochene Arbeit am Exposé wieder aufgenommen. Der Film spielt an der thüringischen Grenze (Eichsfeld) der Republik und wird sich auch mit dem Wirken reaktionärer katholischer Kräfte auseinandersetzen. (Örtlicher Landwirtschaftsbetrieb. ÖLB bestanden in der DDR in den 50er Jahren zur Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Nutzflächen, die z. B. beschlagnahmt worden waren, nachdem Bauern die DDR verlassen hatten, oder die von ihren Besitzern aus anderen Gründen aufgegeben wurden).

Dokument 2

Protokoll Nr. 583/59 der Staatlichen Zulassung am 25. November 1959 v. 7. Dezember 1959. Gekürzt.
BArch/FA O. 529

Inhaltsangabe:
Das Thema des Films ist die Schaffung des engen Bündnisses zwischen der Grenzbevölkerung eines Dorfes an der westlichen Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik und den Soldaten und Offizieren einer Grenzkompanie im Interesse der Sicherung und des Eigentums des Volkes. Martin Kraft, ehemaliger Autoschlosser in den Automobilwerken Eisenach, von seinem Betrieb zum Dienst in die Deutsche Grenzpolizei delegiert, meldet sich einen Tag vor Ende seines offiziellen Urlaubs zwischen Ausbildung und Grenzdienst in der Grenzkompanie Altenrode. Altenrode ist ein ehemaliges Lehnsdorf des Grafen Räudel – der Besitz des Grafen ist jetzt zur Hälfte Eigentum der Genossenschafts- und Einzelbauern, auf dem anderen Teil sitzt noch der Graf, hinter der Grenze, in Westdeutschland. Die Grenzer, die Genossenschaftsbauern wissen, daß er auch da drüben nicht mehr lange reitet, daß das heute erst zur Hälfte dem Volke gehörende Land morgen ganz dessen Eigentum wird. Heute gibt es aber noch Beziehungen zwischen dem Grafen und einigen Dorfbewohnern – vorwiegend ideologische. Unter diesen Umständen macht Martin Kraft seinen ersten Grenzdienst, freiwillig, da eine besondere Situation in der Dienststelle die Möglichkeit gibt. Ein Gewittersturm überrascht die Posten am Räudelstein. Bei diesem Sturm stürzt in der Nähe der Grenze ein Mädchen des Dorfes, Renate Wedel, die Tochter eines Einzelbauern, ab. Sie wird unter Lebensgefahr von Martin und seinem Postenführer gerettet. Zur gleichen Zeit geschieht ein illegaler Grenzübertritt in diesem Abschnitt (West – DDR), nach allen Anzeichen durch einen Bewohner des Dorfes. Beide Ereignisse bestimmen die Geschichte. Zwischen Martin und Renate entwickeln sich Liebesbeziehungen, die auf den entschiedenen Widerstand des alten Wedel stoßen, der nichts unterläßt, um sie zu zerstören, da er spürt daß mit diesen Beziehungen eine Veränderung in seiner Familie, in seine Pläne kommt, die er nicht dulden will. Er will mit den Grenzern nichts zu tun haben, auch nicht mit der Genossenschaft – aber auch nicht mit dem Grafen und dessen Verbündeten, dem Großbauern Grabow. Andererseits ist er abhängig von Grabow, der ihm die Pferde zur Feldbearbeitung leiht und seine Tochter als Gegenleistung für dessen Sohn (Felix) verlangt. In diesen Auseinandersetzungen vollzieht sich Martins Entwicklung, wesentlich unterstützt durch den „Kopf“, den Kompanieführer. Der Klassenkampf im Dorf zwischen dem unter gräflichen Einfluß stehenden Grabow und der Genossenschaft entwickelt sich bis zum Fluchtversuch Grabows, nachdem er vorher der Genossenschaft großen Schaden zuzufügen versucht. Aus diesem Kampf kann sich Wedel nicht heraushalten, er muß sich für eine Seite entscheiden; er wird nicht zum Feind des Dorfes werden. Martin und Renate zerstören die alten, herkömmlichen Vorstellungen Wedels. Die Gesamthandlung bringt zum Ausdruck, daß das Bündnis zwischen dem Dorf, der Genossenschaft und der Grenzkompanie fester geworden ist und sich sozialistische Beziehungen entwickeln.

Einschätzung:
Dieser erste Spielfilm über das Leben und die Aufgaben der bewaffneten Organe unserer Republik bringt vor allem die sozialistischen Beziehungen zwischen Offizieren und Soldaten und ihre enge Verbindung zur werktätigen Bevölkerung zum Ausdruck. Der Film gibt dabei einen notwendigen und wertvollen Einblick in diesen, bisher noch nicht in einem geschlossenen Spielfilm gestalteten Lebensbereich. Er trägt daher zur Aufklärung über die Rolle der Deutschen Grenzpolizei bei und wird besonders bei unseren jungen Menschen einen erzieherischen und werbenden Einfluß ausüben. Kritisch zu bewerten ist die Gesamtdramaturgie des Stoffes. Die Handlung, die die verschiedenen Probleme beinhaltet, ist überladen. Einige interessante Konflikte können nur oberflächlich behandelt und nicht konsequent gelöst werden. Aus der großen Zahl der einzelnen Handlungsgänge ergeben sich weiter einige unreale Konstruktionen und nicht überzeugende Motivierungen für einzelne, dramaturgisch notwendige Handlungen. Nicht gelungen ist die künstlerische Gestaltung der kollektiven Erziehungsarbeit in den bewaffneten Organen, besonders bei der Darstellung der Bedeutung und des Inhalts der Arbeit der Politorgane, der Partei- und FDJ-Organisation. Trotzdem wird der Film seiner Aufgabe, einen Einblick in die Probleme unserer bewaffneten Organe zu geben und einen werbenden Einfluß auszuüben, gerecht werden. Der Film wurde einstimmig für den Spielplan zugelassen.

Dokument 3

Zusatzprotokoll C zum Protokoll Nr. 583/59 v. 12. April 1965.
BArch/FA O. 529

Zweck der Vorführung: Antrag von VEB Progreß Film-Vertrieb auf Verlängerung der Zulassung. Entscheid: Die Problemstellung des Films entspricht nicht mehr den Gegebenheiten. Inzwischen gab es verschiedene Veränderungen in der Behandlung von Grenzfragen; außerdem wurde die Deutsche Grenzpolizei aufgelöst. In Ãœbereinstimmung mit Gen. Oberstleutnant Meisel – NVA – wird die Zulassung des Films nicht verlängert.

Quelle: www.staat-kirche-forschung.de/seiten/eBooks/RSimons/Zu jeder Stunde.pdf