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Um Johanni (Urfassung)
Von Adam Richwien
"Wer eine Tour zum Hülfensberge macht
und das Gut Keudelstein einer Beachtung wert hält,
der glaubt sich ins bayrische Bergland versetzt."
(Adam Richwien)
Johannistag – Rosen blühen im sonnigen Hag! Hoch steht die Sonne und schafft Tage, die schier nicht enden wollen. Sommersonnenwende. In altgrauer Vorzeit unserer Ahnen, der heidnischen Germanen, lohten um diese Zeit rauchende Götteropferbrände von den Höhen gegen den nächtlichen Himmel. Heute noch besteht in manchen Gegenden der Volksbrauch, an geeigneten Plätzen Johannisfeuer abzubrennen. Eine andere, auch auf dem Eichsfelde viel geübte Volkssitte besteht in dem Winden und Aufhängen von Johanniskränzen. Als Material nimmt man dazu mit Vorliebe den „Mauerpfeffer“, ein gelb blühendes, kurzrankiges Gewächs, das auf verwitterten, wild ohne Mörtel gelegten Mauereinfriedigungen und auch auf Steinschotterwällen (Steinritschen) allerorts üppig gedeiht.
Aber auch andere Kinder der sommerlichen Heimatflora, insbesondere auch die allgemein bekannte Johannisblume, flicht man in die Johanniskränze, die dann die Fronten und Giebel der Behausungen zieren, bis die brennende Sonne ihre Schönheit fortgeküsst hat. „Um Johanni“ war oft auch ein wichtiger Termin für Verpflichtungen aller Art, für Ausgedinge, sowie auch Kündigungs- und Antrittstermin für Dienstboten und Hausgesinde. Alte Leute, die oftmals eine eigene „verblümte“ Sprache führen, deuten mit dem Spruch: „Er steht um Johanni“ an, dass der Betreffende, den das Wort angeht, im besten Alter, am Scheitelpunkte des Lebens steht.
Um Johanni sind Tage, die schier nicht enden wollen. So aber ist es dem Landvolke schon recht. Denn, sollen auch nach einem alten Bauernwort Hackfrüchte um Johanni Ruhe haben, so stehen nun Klee- und Wiesenmahd im Vordergrunde. Abends, im trunkenen Zwielicht der dämmernden Nacht, hallen die metallischen Sensendengelklänge vom Amboss über die Hofstätten der Mäher und mischen sich in die fernen, verschwommenen Weisen der Burschen und Mädchen des Dorfes. Schöner noch wäre dieses Klingen, wenn rechte, echte Volksliederweisen, „vom Klange der Sichel“ etwa, oder „vom Mühlenrad im Grunde“, von allem Schönen, was die Dorfheimat um uns webt, sich verbänden mit dem Sensendengelliedern der schaffenden Bauern. Wie viel hat unsere heranwachsende Jugend es oft in der Hand, der noch so weltverkannten Heimat kernhaftes Gebilde zu geben. –
Kühlend und erfrischend steigt die Nacht zu Tal. Nicht stockfinster, nur wie dämmernde Schleier schreiten diese sommerlichen Nächte. Oftmals auch erhellt gegen Abend ein zuckendes Flackern den Horizont. Wetterleuchten. Mahnzeichen im Weltraum. Funkspruch des Urewigen: Alles steht bei mir … „Gott halte uns in Gnaden diese Nacht“, spricht die Mutter und segnet die müden Kinder. Der Hausvater macht noch einen letzten Rundgang, ob alles wohl ist im Stall, Hof und Haus und geht zur kurzen erquickenden Rast. Frühmorgens, wenn die Lerchen über den taufrischen Feldern schweben, rauscht und surrt die Sense im üppigen Wiesenwuchs. An der Grenze zieht der murmelnde Bach seinen Lauf; dunkles Erlengebüsch beschattet seine Wellen, die unter riesigen Blattschirmen des Wasserschierlings unaufhaltsam reisen durchs grüne Sommerland.
Erhaben und in strahlender Schönheit steigt die Sonne über den Osthängen auf. Bunt schillernde Libellen umgaukeln ihre Strahlen; Erdbeeren und Kirschen lassen sich die Wangen schminken von der Fülle ihres Lichtglanzes. „Morgenstunde hat Gold im Munde“, denkt wohl der kernige Mäher, wenn er über die bauchigen, grünen Schwaden schaut. Zum letzten Mahdgange führt der Wetzstein aus dem Köcher und gleitet über die taufeuchte Stahlschneide. „Wetze, wetze, wetze, desto besser gett se ...“, hänselt ein Fink am Bachufer. „Srrr, srrr“, gibt das Breitschwert zur Antwort und streckt die letzte Wiesenschönheit unbarmherzig zu Tode. – Um Johanni in den Tod. Spiegelt sich nicht auch hier die Tragik von Menschenschicksalen wieder im Bilde der dahingesunkenen Wiesenpracht. Darf ich solche Gedanken hier einflechten, ohne in den Verdacht zu kommen, krasser Melancholiker zu sein?
Oben in blauer Höhe streicht gerade ein großer grauer Vogel mit surrendem Geratter und starren Metallflügeln. Fahrt ins Sonnenland. Wer da mitkönnte! Beschattete Blicke folgen ihm, bis er über den waldigen Bergen verschwindet. Hoch geht der Menschen Sinnen. Vorstoß in den Weltenraum. Werden sie einmal mit einem solchen grauen Ungeheuer landen können in einem Sonnenland, wo keine Sonnenwende mehr ist, wo nichts Bewegung, alles Ruhe ist? Davon weiß ich nichts. Aber ich weiß, dass die Menschenseele starten muss zum Flug ins ewige Johannissonnenland. Daran zu denken, verlohnt sich, auch wenn man erst „um Johanni“ steht. „Um Johanni“ schon kann uns der Tod das Leben kündigen. Schauet auf die Wiesen, die zu Tode gemähten. Doch dahin zurück. Flinken Landfrauen- und Mädchenhänden beut der sommerliche Tag reiche Arbeit, bis endlich die narkotisch duftenden Heuberge wohl geborgen in Scheuerpansen verstaut sind.
An den Hängen des eichsfeldischen Landes sieht man jetzt mehr und mehr Dauerweideanlagen. Braunes und geflecktes Rindvieh grast Tag um Tag darauf. Diese eingehürdeten Weideflächen erhöhen reizvoll das landschaftliche Gepräge der Heimat.
Wer eine Tour zum Hülfensberge macht und das Gut Keudelstein einer Beachtung wert hält, der glaubt sich ins bayerische Bergland versetzt. Auf waldumhegten, grünen Weideflächen grasen Rinder und Fohlen und machen, aller hemmenden Fesseln ledig, übermütige Sprünge, so dass die Herdenglöcklein melodisch läuten müssen. Wie gebannt bleibt da der Wanderer stehen ob solcher Naturschönheit. Zumal der kundige Landwirt staunt: „So ein Vieh“. Das eine oder andere Stück kommt wohl auch neugierig äugend heran, dicht an die Einfriedung, steht und staunt, als ob es fragen wollte: „Wer bist du?“ ... Mir kommt Roseggers Kapitel aus seiner „Waldheimat“ in den Sinn „Beim lieben Vieh“. Und ich muss zum Neider werden an den lebensfrohen Hütejungen, die sorglos sitzen auf den Bergmatten bei ihrem lieben, lieben Vieh. Im wachen, seligen Kindheitstraum verbringen sie den Tag. Unbewusst trinken sie die Schönheit ihrer Heimat. O sie können Großes werden in ihrem Leben, diese Hütejungen. Fraget die Männer, die hervorgegangen sind aus unserem Stamme und die wie Sterne leuchten auf allen Gebieten des praktischen Lebens oder der Wissenschaft, ob sie nicht auch ehemals eichsfeldische Hütejungen waren. Großes Glück im Leben mag ihnen winken. Fremdes Glück in fremder Heimat. Doch oft erst, wenn die Träger desselben auf der Lebenssonnenwende angelangt sind, wird ihnen dieses fremde Glück fremd erscheinen und sie müssen bekennen: Schöner und größer war das Heimatglück, das sie unbewusst in sich hineingetrunken haben – beim lieben Vieh auf der Berghalde.
Sonnenwendzeit um Johanni. Leuchtende Rosen blühen im Hag. Blüht auch ihr, liebliche Rosen der Erinnerung an eine schöne Kindheitsheimat. Bis an die Lebenssonnenwende und darüber hinaus umglüht mich, dass ich dankbar selig verträumt der Stunden gedenke.
Adam Richwien
(Lengenfelder Heimatdichter, 1889-1928)
Anmerkung:
Diese revidierte Version stellt die Finalfassung des Textes dar, welche durch den Autor um einige Passagen erweitert und in den „Hülfensberg-Glocken“ abgedruckt wurde.