Tagebuch zur Grenzwanderung

Laster fĂĽr fĂĽnf Kilometer Zaun

Von Paul-Josef Raue

Hildebrandshausen, ein Eichsfelder Grenzdorf mit 400 Einwohnern, hatte ein Rittergut und hat eine lange, anderthalb Jahrtausende lange Geschichte.

Wenn Heinz Blümel, der Bürgermeister, erzählt, dann springen die Herren von Keudel in seine Geschichte. Am Fuße der Keudelskuppe errichteten sie am Ende des Mittelalters ihr Gut mit einem schönen Fachwerk-Schloss samt Kaminen und vielerlei Verzierungen, drei Geschosse hoch.

Das Schloss und das Rittergut überstanden all die Kriege, zuletzt auch den Zweiten Weltkrieg, aber nicht mehr den Frieden, der folgte. Die sowjetischen Militärs befahlen, das Schloss abzutragen - buchstäblich: abzutragen, um Baumaterial zu gewinnen. Der Rest gammelte vor sich hin, ehe 1978 die Reste auch noch abgetragen wurden, um an der Grenze ein freies Schussfeld zu bekommen.

Zwei steinerne Figuren, die den Besucher am Portal begrüßten, entgingen der Barbarei und grüßen heute noch - an der Marienkirche in Heiligenstadt. Auch ein hessischer Löwe und das Mainzer Rad aus Stein erlebten noch die Wende - und wurden dann über Nacht gestohlen. Auch sollte der Wald auf der Kuppe dem freien Schussfeld weichen, doch die Furcht, der Hang können abrutschen, rettete die Bäume.

Als die Wende kam, bauten die Einwohner von Hildebrandshausen sofort den Zaun ab und – geschäftstüchtig wie sie sind – verkauften sie fünf Kilometer von dem kostbaren Metall und kauften dafür einen gebrauchten Lastwagen in Eschwege – für 21.000 Mark. „Der hielt noch bis vor zwei Jahren“, erzählt der Bürgermeister. So erinnern nur noch die staatlichen Bäume auf dem Keudelstein an die Zeiten vor der Wende.

Paul-Josef Raue
(Quelle: ThĂĽringer Allgemeine vom 14.09.2011)