Der Keudelstein

Manfred Lückert

Von Manfred Lückert

„Südlich von Geismar, etwa ¾ Stunde von diesem Ort entfernt, liegt die Keudelskuppe (484 Meter), der höchstgelegene Punkt des südlichen eichsfeldischen Plateaus. Der Wanderer, der die 1250 Fuß hohe Anhöhe erklimmt, wird durch einen herrlichen Ausblick in das liebliche Werratal mit fruchtbaren Wiesen zu beiden Seiten des Flusses belohnt. Besonders am 2. Pfingsttag strömen sehr viele Besucher zu diesem beliebten Aussichtspunkt, und ein Wirt aus dem Nachbardorf sorgt für Bequemlichkeit und Unterhaltung! Es ist als ziemlich sicher anzunehmen, dass in grauer Vorzeit auf der Keudelskuppe die sogenannte Keudelsburg gestanden hat. Das adelige Geschlecht von Keudel hatte hier seinen Sitz. Der erste, von dem sich in der Geschichte des Eichsfeldes etwas vorfindet, ist Buttlar von Keudel, der zur Zeit Rudolfs von Habsburg auf dem Eichsfelde Lehengüter erhielt.“ (Aus der Heimat, 15.8.1905)

Der folgende Bericht stammt aus der Halbmonatszeitschrift „Aus der Heimat“ vom 15. August 1905, der Verfasser ist unbekannt:
„Als im Jahre 1381 der Hilfensberg mit Bebendorf an das Kloster Anrode käuflich überging, war ein gewisser Apel von Keudel Zeuge dieser Verhandlung. In der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts entstand ein Streit zwischen den von Keudel, dem Kloster Anrode und den Beamten auf dem Bischofstein wegen des Stand- und Fassgeldes auf dem Hilfensberge. Bei der Entscheidung war das Zeugnis 4 alter Männer, welche bis zum Jahre 1349 zurückdenken konnten, maßgebend; infolge dessen wurden die von Keudel mit ihren Ansprüchen zurückgewiesen. An der Stelle, wo jetzt das Rittergut liegt, befand sich vor 400 Jahren das zur Keudelsburg gehörende Dorf Kubsdorf. Nachdem dieses zerstört, baute später Bernd von Keudel an dessen Stelle das drei Stock hohe Wohnhaus des jetzigen Rittergutes. Durch die Heirat eines Frl. von Keudel kam Döringsdorf an Asmus von Buttlar und von diesem an den Landgrafen Phillip den Älteren von Hessen, demnach war auch es früher Keudelsches Lehnsdorf. 1583 den 8. September vertauschten die Landgrafen von Hessen dieses Dorf an den Kurfürsten Wolfgang von Kurmainz; von selbiger Zeit an gehörte es zum Amte Bischofstein und war der letzte Ort, welcher an das Eichsfeld gekommen. Der letzte des adeligen Geschlechts von Keudel (Walrab von Keudel) starb im Jahre 1792 und Mainz nahm von den Keudelschen Lehen Besitz. Man erzählt: Als der letzte von Keudel die Augen geschlossen, hätte der Richter Löffler sich die Hausschlüssel angeeignet, von den Ecksäulen des Hauses Späne abgehauen und sie auf dem Hofe, als Zeichen der Besitzergreifung für den kurmainzischen Staat, verbrennen lassen. Kaum sei dieses geschehen, so wäre der namensverwandte Herr von Keudel aus Schwebda (der das Ableben desselben von einer Frau aus Lengenfeld erfahren) eilig geritten gekommen, um das Gut für sich zu gewinnen; doch es war zu spät. In den Freiheitskriegen wurde das Gut auf sonderbare Weise von einem feindlichen Ãœberfalle verschont. Ende Oktober 1813 beabsichtigten Kosaken an einem finstern Abend einen Ritt von Lengenfeld nach Wanfried. In dem Wäldchen „Im Schlage“, ungefähr 1000 Schritt vor dem Keudelstein, ergriff aber plötzlich der mitgenommene Führer, der die Laterne trug, die Flucht. Die feindlichen Soldaten irrten nun umher, bemerkten aber endlich ein Licht und kamen nach vieler Anstrengung über Länder, Wiesen, Sümpfe und Bäche in die Entenmühle, woselbst sie nach vielem Lärmen, Toben und Fluchen durch Wuttki und Kabuster (Schnaps und Sauerkraut) wieder zur Ruhe gebracht wurden. Als das Eichsfeld an Preußen kam, wurde der Rittmeister von L’Estocq Besitzer des Rittergutes, welcher es anfangs der vierziger Jahre an die Ökonomen Martin und Lorenz verkaufte.

Wer den Keudelstein vor 50 Jahren gesehen, wird ihn jetzt kaum wieder erkennen, denn die westlich gelegenen fiskalischen Waldgrundstücke sind gegen andere umgetauscht und in Ackerland verwandelt worden, dadurch hat das Gut an der freien Aussicht viel gewonnen. Auch haben die letzten Besitzer die früher kaum passierbaren Wege chausseemäßig ausgebaut und vor einiger Zeit sind Promenaden mit Erholungspunkten am Saume der Keudelskuppe angelegt, welche die romantische Gegend noch verschönern. Schließlich sei noch erwähnt, dass vor ungefähr 30 Jahren selbst der rühmlichst bekannte Staatsmann Robert von Keudell, Botschafter des Deutschen Reiches in Rom, seinem alten Familiensitz einen Besuch abstattete. Seine Vorfahren sind vor 200 Jahren vom Keudelstein nach Ostpreußen übersiedelt. Seit einigen Jahren befindet sich der Keudelstein wieder im Besitze einer Familie gleichen Namens, nämlich im Besitze des Herrn Landrats und Kammerherrn von Keudell zu Eschwege.“

Vom Keudelstein erzählt der Volksmund noch folgende Sage:
Ein Herr von Keudelstein führte ein lasterhaftes Leben. Dabei bedrückte er seine Untergebenen und entzog ihnen den sauer verdienten Arbeitslohn. Eines Tages bat ein Höriger, der eine zahlreiche Familie besaß, den Ritter um Auszahlung des fälligen Tageslohnes. Dies aber wies den armen Familienvater mit harten Worten ab und versetzte ihm überdies noch einige Peitschenhiebe. Da verfluchte der Misshandelte seinen grausamen Herrn und tat den Wunsch, dass dieser nach dem Tode umgehen solle. Die Verwünschung erfüllte sich bald. Der Ritter starb eines jähen Todes und ging nach seiner Beerdigung allnächtlich auf dem Gutshofe um. Die Leute daselbst fürchteten sich, und niemand wollte mehr dort bleiben.
(Aus „Obereichsfeldischer Sagenschatz“ von Karl Wüstefeld, Verlag F.W. Cordier, Heiligenstadt, 1920)

2. Bildunterschriften:

Bild 1:
Rittergut Keudelstein, zwischen Geismar und Wanfried gelegen, mit Wiesen und Waldungen nahe der Keudelskuppe in Aufnahmen aus den Jahren um 1906. Bernd von Keudel baute an der Stelle des 1552 als Wüstung genannten Ortes Kubsdorf das Rittergut auf. Das stattliche Wohnhaus stammt aus dem Jahre 1669. Ein Flugband im Portal des Hauses trug die Inschrift: „Georg Sebastian v. Keudel Schwebde X Anna Elisabetha v. Lütter.“

Bild 2:
Wenn in Döringsdorf die Kirmes gefeiert wurde, spielte man auf dem Keudelstein jedes Mal ein Ständchen. An der Pauke steht Bernward Wenzel, ganz links ist Paul Schmidt zu sehen. Foto: 1937.

Zusatz über den Keudelstein aus dem Kapitel „Das Südeichsfeld u. Werratal“ (selbes Buch):

„Wir wandern nun in einem lieblichen rings von Wald eingefassten Wiesentale nach dem Rittergut Keudelstein, das früher im Besitz des Bischofs Martin von Paderborn war, jetzt aber dem Landrat von Keudell in Eschwege gehört. Der Werratalverein, der es sich zur Aufgabe gestellt, die schönen Punkte des Werratales zu erschließen, hat in dankenswerter Weise Wegweiser aufstellen lassen und auch diesen Weg gekennzeichnet, welche an Bäumen oder anderen Gegenständen zahlreich angebracht sind. Durch den Keudelsteiner Obstgarten hindurch führt der Weg nach der „Keudelskuppe“ die uns einen unerwartet schönen Blick hinab in das Werratal und weiter hinaus nach Süden, Westen und Norden bietet.

Die Städte Wanfried und Eschwege, verbunden durch die glänzenden Fluten der Werra, heben sich nebst den vielen kleineren Ortschaften reizend aus dem breiten, grünen Flusstale ab. Gegenüber liegt der Hülfensberg, der berühmte Wallfahrtsort, dem wir später noch einen Besuch abstatten wollen. Weiterhin breitet sich das hessische Berg- und Hügelland in großer Ausdehnung, im Norden vom Meißner oder Kaufunger Wald begrenzt vor dem Beschauer aus. Nördlich streift der Blick über die Hochebene des Eichsfeldes. Auf der Keudelskuppe und auf dem ganzen Südeichsfelde kommt der im Aussterben begriffene Taxusbaum vor, der in den wenigen guten Exemplaren von den Forstleuten gepflegt wird. Unser Weg wendet sich nun südlich auf einem ziemlich ebenen Bergrücken, „der Plesse“, entlang. Nachdem wir etwa nach einer halben Stunde einen Abstecher an den großartigen „Erdfall“, einem alten mächtigen Bergrutsch, gemacht haben, gelangen wir nach kurzem Weitermarsche nach einem der vielen vom dem Werratalverein aufgestellten Aussichtstürme. Der Rundblick, den man von hier genießt, streift im Südosten bis an den Thüringer Wald, dessen Inselsberg man deutlich vor sich hat. Nach Südwesten kann man die Höhen weit in das Hessenland hinein, nach Norden bei klarem Wetter in schwachen Umrissen einige Bergzüge des Harzes erkennen.“

Manfred Lückert
(in: "Auf dem Eichsfeld: Historische Notizen von der Burg Hanstein, der Teufelskanzel und der Landschaft zwischen Rusteberg, Ohmgebirge und Hülfensberg", Kassel: Meister, 1986.)