Im Burggraben der Keudelsburg
(Eine Wichtelsage)

Von Friedrich Wilhelm Mosebach

Im Jahre 1900 erhielt ich vom neuen Besitzer des Keudelsteins, Herrn Kammerherr u. Landrat v. Keudell zu Schwebda auf Schloss Wolfsbrunnen u. Keudelstein, die Erlaubnis, die Fundamente der von mir entdeckten Keudelsburg aufzudecken, wozu mir die nötigen Arbeiter gestellt wurden. Zu einer Nachmittagspause erzählte mir ein alter Döringsdorfer folgende Begebenheit: „In der Franzosenzeit war der Hof meines Großvaters so sehr in Schuld geraten, dass meine Großeltern nicht mehr ein und aus wussten und der Hof in der nächsten Zeit veräußert werden sollte. Mein seliger Vater war damals 12 jährig und hatte noch 5 Geschwister unter sich, als er mit Herzeleid in den Keudelsteiner Wald ging, um Leseholz zu holen. Die Zeit verstrich, es wurde dunkel, und ermüdet nach langem Suchen auf der Kuppe herum saß er im tiefen Graben und weinte und betete unaufhörlich. Da öffnete sich geräuschlos der Graben und er lag ohne Fall mit seinem Holze mitten in einem goldglänzenden Gewölbe auf einem weichen Mooslager, umgeben von einer großen Wichtelschar. „Armer Junge“ hob der langbärtige Wichtelkönig an: „Wir haben dein Weinen und Beten gehört und wollen deinen Eltern gern helfen, aber du darfst niemanden von uns erzählen.“ Hierauf wurde er zum gedeckten Tisch geführt, und nachdem er sich an Speise und Trank erholt hatte, übergab ihm der Wichtelkönig einen Lederbeutel mit Goldstücken.

Friedrich Wilhelm Mosebach
(Bückeburg, um 1905)