Kindheitserinnerungen an den Keudelstein

Mein Leben auf dem Gutshof
von Margret Ullrich

Gut Keudelstein in den 1930er JahrenSchlittenfahrt auf dem KeudelsteinBerta Irmisch

Die Keudelsteiner Pächter-Familie RhodeKinder der Familie Rhode auf dem KeudelsteinFüttern der Hühner auf dem Keudelstein

Vorbemerkung
Margret Ullrich wurde 1935 auf dem Keudelstein geboren und ist das zweitälteste Kind des Ehepaares Richard und Ruth Rhode (ingesamt hatten die Rhodes vier Kinder: zwei Mädchen und ihre zwei jüngeren Brüder). Der Vater Richard Rhode hatte den Keudelstein von 1931-1945 gepachtet. Eigentümer des Rittergutes Keudelstein war seit 1901 der Landrat Alexander von Keudell, dem es jedoch aufgrund seiner Amtsausübung im hessischen Eschwege nicht erlaubt war, den Keudelstein dauerhaft zu bewohnen (als Hauptwohnsitz). Aus diesem Grund musste er den Gutshof verpachten. Bis zum Jahre 1945, und der Teilung Deutschlands, die die Zwangsenteignung des Gutes zur Folge hatte, war der Keudelstein im Besitz der Familie von Keudell und wurde von Familie Rhode und ihren Angestellten bewirtschaftet.

Kindheitstage auf dem Keudelstein
Aus ihren Kindheitserinnerungen berichtet Frau Ullrich, die im benachbarten Döringsdorf ihre ersten Schulerfahrungen machte, dass das Wohngebäude des Keudelsteins aus insgesamt 36 Zimmern bestand, denen verschiedene Funktionen zugeordnet waren. So befand sich im ersten Stock ein großer Saal, dessen Decke große Erntekronen zierten. Das Mobiliar des Hauses beschreibt Frau Ullrich als einfach und der Zeit angemessen. Nach dem Kriegsende musste Familie Rhode den Gutshof verlassen. 1949 wurden die Keudelsteiner Hausmöbel durch Hilfe von Wanfrieder Bauern auf Wagen verladen, um den Großteil dieser Möbel zum neuen Wohnort der Ullrichs, dem Schwarzwald, zu befördern. Vom ursprünglichen Mobiliar des Keudelsteiner Wohnhauses war Frau Ullrichs Aussage zufolge während ihrer Kindheit nichts mehr vorhanden.

Im sogenannten „Herrenzimmer“ befand sich ein großer grüner Kachelofen, womit dieses Zimmer beheizt werden konnte. Das Esszimmer hingegen sei nicht beheizbar gewesen. Des Weiteren erinnert sich Frau Ullrich an zwei tiefe Gewölbekeller, die sich unter dem Wohnhaus befanden. Während der „Wirtschafts“- oder „Naturkeller“, in dem u.a. Weinflaschen gelagert waren, einen massiven Boden besaß, befand sich im zweiten Gewölbekeller nur ein einfacher Lehmboden. Ob beide Kellereinheiten miteinander verbunden waren, vermochte Frau Ullrich nicht zu sagen.

Insgesamt sei Familie Rhode und der damit verbundene Gutsbetrieb mehr ins hessische Wanfried orientiert gewesen, was neben den vielfältigen Handelsbeziehungen mit den dortigen Geschäftsleuten bereits die Telefonnummer „Wanfried 12“ deutlich machte.

Kam der Winter, so wurde traditionsgemäß eine große Treibjagd veranstaltet, zu der auch die Jäger vom benachbarten Gut Greifenstein auf den Keudelstein kamen.

Neben den vorangegangenen Informationen war es möglich, weitere Fragen, die das Leben auf dem Keudelstein betreffen, durch Frau Ullrichs Mithilfe zu beantworten. So sei das Gut durch seine umfassende Wasser- und Stromversorgung unabhängig bzw. autonom gewesen. Von diesem Umstand zeugte noch bis in die 1990er Jahre das Transformatorenhäuschen, das sich an der Südostspitze des Gutshofes befand.

Um alle Arbeitsbereiche auf dem Gutshof abdecken zu können, sei der Pächter Richard Rhode auf die Hilfe andere Arbeiterfamilien angewiesen gewesen. So wohnte der Schmied Martin aus Döringsdorf (der u.a. die zum Gut gehörigen Pferde beschlug und Wagenräder bearbeitete) mit seiner Familie ebenso auf dem Keudelstein wie ein Milchbauer, der für die Kühe und die damit verbundene Milchproduktion verantwortlich gewesen sei. Die auf dem Keudelstein produzierte Milch sei anschließend nach Eschwege gebracht worden, wo diese zu anderen Milchprodukten weiterverarbeitet wurde. Vertreter dieses Berufszweiges wurden im Volksmund als „Schweizer“ bezeichnet. Von dieser Bezeichnung rührt im Ãœbrigen auch der Name des Gebäudeteils "Schweizerwohnung" auf dem Keudelstein her.

Des Weiteren befanden sich unterhalb des Gutshofes (in südöstlicher Richtung) zwei Arbeiter-(Doppel-)Häuser mit insgesamt vier Wohnungen, in denen drei polnische und eine deutsche Familie (Hartmann) untergebracht waren. Beide Familien unterstützten den Gutsbetrieb und erhielten für ihre Leistungen ein Deputat. Folgte man dem Weg entlang des „Sperbers Graben“, der zu den Arbeiterhäusern führte, ca. 10 Minuten, so kam man an ein entlegenes Waldstück, an dessen Saum sich das Keudelsteiner Forsthaus befand. In der Zeit, als Familie Rhode den Keudelstein gepachtet hatte, wurde das Forsthaus durch Herrn Frisch bewohnt. Frisch, ein pensionierter Oberst, war durch die Kampfhandlungen des 1. Weltkrieges gezeichnet, infolgedessen ihm ein Bein amputiert worden war.

Dass zur Zeit ihres Aufenthaltes ein eigener Friedhof zum Keudelstein gehörte, konnte Frau Ullrich eindeutig verneinen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass sich in früheren Zeiten eine eigene Begräbnisstätte der Familie von Keudell auf dem Gutsgelände befand.

Oliver Krebs

Anmerkung
Die hier aufgeführten Informationen teilte Frau Margret Ullrich in einem Telefongespräch, das am 19.09.2008 geführt wurde, mit. Für ihre detaillierten Informationen gebührt Frau Ullrich aufrichtiger Dank! Durch ihre Schilderungen war es erstmals möglich, ein präziseres Bild von den Lebensumständen auf dem Keudelstein zu erhalten.