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Spuren führen zu düsterem Kapitel
an der Grenze
Von Thomas T. Müller
Das Gut Keudelstein lag zwischen den Dörfern Döringsdorf, Lengenfeld/Stein und Hildebrandshausen unmittelbar unter der Keudelskuppe. Übrig blieben vom alten Glanz auf dem einstigen Anwesen ein paar landwirtschaftliche Geräte, die aus der Erde ragen, Fußbodenreste und der zugeschüttete Keller des Forsthauses.
Die Zerstörungen begannen erst nach dem Krieg. Viel schlimmer als die Einquartierungen von amerikanischen und sowjetischen Soldaten traf die Gutshäuser und Adelssitze an der unmittelbaren Zonen-, später Staatsgrenze zum Westen das vermeintliche Sicherheitsbedürfnis der ostdeutschen Machthaber. Während die Besatzer nur Vieh und Schmuck geraubt hatten, nahm die DDR den Bewohnern ihre Existenz: ihre Häuser.
In direkter Grenznähe zur Bundesrepublik wurden seit den 1950er-Jahren kontinuierlich Gebäude abgerissen oder gesprengt, die potenziellen Flüchtlingen bei ihrem gefährlichen Unterfangen hätten Unterschlupf bieten könnten. Unter diesen Gebäuden waren im Eichsfeld zahlreiche historisch und kunsthistorisch bedeutende Herrenhäuser wie der Keudelstein bei Döringsdorf.
Volker Große und Gunter Römer aus Kirchworbis haben in den vergangenen zwei Jahren die jüngste und traurigste Geschichte dieser Gebäude erforscht und präsentieren die Ergebnisse ihrer Spurensuche derzeit im Eichsfelder Heimatmuseum in Heiligenstadt.
Die Ausstellung, die den Titel "Moderne Wüstungen - ein DDR-Relikt" trägt, will Erinnerungen an nicht mehr vorhandene Baudenkmale des Eichsfeldes wecken. Mehr als 250 historische Fotografien lassen längst zerstörte und von Gras, Gestrüpp und Bäumen überwucherte Gebäude aus Ruinen wieder auferstehen.
Neben den Bildern liefern Große und Römer auf dazugehörigen Tafeln auch historische Informationen über die verschwundenen Gebäude. So berichten sie, dass das Gut Keudelstein im 17. Jahrhundert durch die Familie von Keudell, in Schwebda ansässig, aufgebaut worden war. Danach fand ein mehrmaliger Besitzerwechsel statt. Nach Walrab von Keudell kam es in den Besitz des kurmainzischen Staates. In den 1840er-Jahren wurde es an die Ökonomen Martin und Lorenz veräußert. Aus einer Heimatzeitschrift aus dem Jahr 1905 geht hervor, dass das Gut wieder in der Hand der Familie von Keudell war.
Die Nachkriegsentwicklung verlief analog den meisten anderen Gutsanwesen in der sowjetischen Zone: Enteignung, Bodenreform, Aufteilung der Ländereien an Neusiedler. Auch dieses Vorhaben war wegen der Nähe zur Grenze nur von kurzer Dauer, 1965 wurden Gutshaus, Siedlungshäuser, Forsthaus, Ställe und Scheunen im Zuge von Grenzsicherungsmaßnahmen abgerissen. Die Ländereien wurden zunächst vom staatlichen Gut Großtöpfer und danach von der LPG Hildebrandshausen bewirtschaftet. Nur zwei Steinfiguren wurden bei dem Abbruch gerettet und stehen heute in Heiligenstadt neben der Marienkirche.
Zu sehen ist die Ausstellung, in der auch an andere Schicksale von Herrensitzen und Gutshäusern im Landkreis, insbesondere auch aus den Südharzdörfern, erinnert wird, noch bis zum 25. Juli täglich außer montags im Eichsfelder Heimatmuseum Heiligenstadt.
Thomas T. Müller
(in: Thüringer Allgemeine, Ausgabe vom 10.06.2004)